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Starkstrom: Klaus-Peter Wolf

Klaus-Peter Wolf (geb. 12.1.1954 in Gelsenkirchen) steht vor meinem inneren Auge immer noch als quirliger, in gewisser Weise nervöser, fast schon hyperaktiver Junge da, obwohl er mittlerweile ja auch schon auf die 60 zugeht. So ist das eben mit den Erinnerungen, die sich in diesem Fall auf das Gelsenkirchener GrilloGymnasium beziehen (wo ich 1969 mein Abitur machte). Da gab es diesen Menschen aus den „unteren Klassen“, der mir gerade wegen seiner „Wibbeligkeit“ auffiel, ohne dass ich mich das sei der historischen Wahrheit gemäß auch gesagt besonders um ihn bemüht hätte. Ich habe ihn, um es klipp und klar zu sagen, durchaus als etwas „Besonderes“ zur Kenntnis genommen, ohne mich allerdings weiter darum zu kümmern. Ich hatte zu dieser Zeit ganz andere Interessen. Später wurde mir klar, warum er etwas „Besonderes“ war. Schon in jungen Jahren stürmte er die literarische Himmelsleiter hinauf. Ein Preis und eine Anerkennung jagten den/die andere. Dazu mag seine spezifische Arbeitsweise beigetragen haben, die darin bestand, sich nicht nur einfach Geschichten am Schreibtisch auszudenken, sondern sich mit Betroffenen zusammen zu setzen, mit ihnen zu reden und ihnen vor allem zuzuhören. Daraus entwickelte er seine Stoffe, die damit eine Authentizität erlangten, die streckenweise frappierend ist. Gleichzeitig hatte er eine klare Zielgruppe: Das war seine eigene Generation, die Jugend, die Teens und Twens und deren Probleme waren im Prinzip seine eigenen. Er etablierte sich also als Jugendschriftsteller Mittlerweile hat sich sein Repertoire deutlich erweitert, was auch unbedingt notwendig war, denn die Vergänglichkeit der Jugend geht auch an ihrem Chronisten nicht vorbei. Er, der jetzt mit Frau und Kind im Norden Deutschlands wohnt, versuchte sich in der Manier von Günter Wallraff in Undercover Geschichten und schrieb Thriller und Krimis. Daneben produziert er schon seit längerem erfolgreiche Drehbücher für Film und Fernsehen. Zurzeit macht Klaus Peter Wolf wieder Furore mit seiner „Ostfriesen“ Krimireihe um die Kommissarin Ann Kathrin Klaasen (erschienen bei Fischer). Dennoch habe ich den Eindruck, dass es um ihn etwas ruhiger geworden ist. Wenn es so sein sollte, dann wäre es, so vermute ich, nicht unbedingt schlecht. Starkstromleitungen brauchen auch mal eine Pause.

Philosophie und Thrill: Peter Schmidt

Peter Schmidt (geb. am 11.8.1944 in Gescher) wuchs in Gelsenkirchen auf und ist der Stadt bis heute treu geblieben. Wenn man einem Blogger bei der Internetplattform Gelsenkirchener Geschichten glauben darf, wohnte Schmidt als Kind in einem Mietshaus Ecke Waldemarstr./Luitpoldstaße. Das war für mich deshalb überraschend, weil ich selbst in der Luitpoldstr. 36 (ein Haus schräg gegenüber der Waldemarstr.) groß geworden bin, mir aber trotz der direkten Nachbarschaft nie ein Junge namens Peter Schmidt aufgefallen ist. Es mag wohl am Altersunterschied gelegen haben (ich bin Jahrgang Dez. 49), dass wir uns nicht schon in Kindheitstagen begegnet sind. So lernte ich Schmidt erst viele Jahre später kennen, als er schon ein renommierter Autor war. Schmidt macht es seinen Gesprächspartnern nicht leicht so jedenfalls meine Wahrnehmung bei den zugegebenermaßen wenigen Kontakten, die ich mit ihm hatte. Denn: Der auf Fremde introvertiert und distanziert wirkende Mann ist kein Freund ausladender Wortbeiträge, sondern sitzt mehr schweigend denn redend in der Runde und lässt andere quatschen. Nur dann und wann mischt er sich wohl dosiert und mit kurzen, genau platzierten Sätzen in die Unterhaltung ein, um danach sofort wieder in die Rolle des Zuhörers und Beobachters zu wechseln. Dieser Umstand mag bei Unbedarften den (falschen) Eindruck erweckt haben, dass der zurückhaltende, ja oft gänzlich stumme Mensch vielleicht deshalb so wortkarg ist, weil er keinen Gesprächsstoff bzw. inhaltlich nicht allzu viel zu bieten hat. Schmidts schriftstellerische Arbeiten entlarven eine diesbezügliche Vermutung als abstruse Fehleinschätzung. Sein reichhaltiges Werk, das hauptsächlich aus Krimis und Polithrillern, aber auch aus Kriminalkomödien, einem Entwicklungsroman, einigen Science FictionRomanen (z. B. Das Prinzip von Hell und Dunkel von 1986) und aus Fachbüchern (z. B. über die „emotionale Intelligenz“) besteht, weist ihn als Autor aus, der scharfsinnig sezierend seine Themen beherrscht. Er, der an der RuhrUniversität Bochum Germanistik und Philosophie studiert hat, versteht es ausgesprochen gekonnt, spannende, nervenaufreibende Unterhaltung mit ironischen Seitenhieben, hellsichtigen Extrapolationen und tiefsinniger philosophischer Unterfütterung zusammenzuführen. Gerade die Anatomie des politischen Verbrechens hat es Schmidt angetan, wobei es bei ihm z. T. zu verblüffenden Vorwegnahmen von Wirklichkeiten kommt. In seinem Roman von 1984 Die Regeln der Gewalt schildert er z. B. die verdeckte Zusammenarbeit zwischen dem DDR Ministerium für Staatssicherheit und der westdeutschen terroristischen Rote Armee Fraktion (RAF), ein Zusammenhang, den viele zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Buches noch für reine Fiktion, ja eventuell sogar für blanken Unsinn gehalten haben. Die Enthüllungen nach der Wende gaben Schmidt umso erschreckender Recht. Schmidts Belletristik ist durchweg von hoher Qualität, und deshalb hat er auch wichtige Preise bekommen. Er erhielt den Literaturpreis Ruhr, und er besetzte beim angesehenen Deutschen Krimipreis zweimal den zweiten und einmal den ersten Platz. Außer Frage steht, dass für Schmidt sein philosophisches Werk einen hervorragenden Stellenwert hat. Diese Arbeiten sind in seinen Augen vielleicht sogar noch wichtiger (?) als seine Belletristik. Dennoch soll dieser Teil seines Schaffens im Rahmen meines Essays nur erwähnt werden, da ich hier bekanntlich einen anderen Schwerpunkt setze. Entsprechend geht es mir noch um einen Aspekt, den ich besonders interessant finde. Peter Schmidt hat nämlich überhaupt kein Problem damit, „Unterhaltungsschriftsteller“ zu sein. Im Gegenteil, er will es ausdrücklich sein. Mehrmals hat er sich diesbezüglich eindeutig und unmissverständlich in der Öffentlichkeit geäußert. Selbstverständlich verbindet ein derart souveräner Autor wie Schmidt mit seinen Texten weitergehende intellektuelle und künstlerische Ansprüche, die er auch über weite Strecken hinweg einzulösen vermag. Aber gleichzeitig ist ihm bewusst, dass seine Botschaften, wollen sie verfangen, über „Unterhaltung“ vermittelt werden müssen, wobei auch das ist eminent wichtig die Unterhaltungselemente eben keine bloßen „Transportmittel“ sind, sondern ihren eigenständigen Wert beim Lesegenuss haben. Insofern kann gerade an dem Beispiel Peter Schmidt deutlich gemacht werden, dass es den immer wieder beschworenen Gegensatz zwischen GenreLiteratur und „hoher“ Literatur nicht gibt. Auf alle Fälle gibt es ihn nicht in der Form, wie es uns bestimmte Literaturkritiker einreden wollen.

Exotische Welten: Wim Vandemaan (d. i. Dr. Hartmut Kasper)

Mit Dr. Hartmut Kasper (geb. 1959 in Wanne-Eickel, heute Herne), der seine Science FictionRomane unter dem Pseudonym Wim Vandemaan veröffentlicht (eine niederländische Version von „Der Mann im Mond“ frei übersetzt) sind wir aus meiner Sicht bei dem aktuell bedeutendsten GEAutor der populären Literatur. Zu dieser Beurteilung komme ich, weil er von allen beschriebenen Autoren dem Zentrum der populären Literatur aktuell am nächsten steht (und zwar mit guten bis sehr guten Texten) und somit „am reinsten“ gute Genre Literatur verkörpert. Kasper/Vandemaan wohnt mit seiner Familie in GE-Buer. Auch er ist mir persönlich bekannt, sodass ich nicht nur auf allgemeine Biografien, sondern auch auf zahlreiche persönliche Gespräche zurückgreifen kann, die ich mit ihm geführt habe. Das Wichtigste vorweg: Ein Hefteschreiber (Vandemaan schreibt für die Perry Rhodan SF-Serie) gilt im Allgemeinen als letztlich wenig gebildeter und konventioneller Vielschreiber, der nichts anderes zu tun hat, als bestimmte vorgegebene Aktionsschemata pausenlos zu wiederholen bzw. zu variieren. Es komme lediglich darauf an, so die landläufige Meinung, die vom Leser erwarteten Muster ständig zu reproduzieren. Kasper entspricht diesem Bild in mehrfacher Hinsicht nicht. Schon von seiner Erscheinung her wirkt er wie ein zurückhaltender Gelehrter. Sein bescheidenes Auftreten wird durch eine leise, sanfte Stimme unterstrichen. Bereits ohne große Worte vermittelt er Sensibilität und Nachdenklichkeit. Hebt er dann zur Rede an, sprudelt es aus ihm heraus, ohne dass es aufdringlich wirkt. Im Gegenteil was er kenntnisreich zu sagen weiß, ist oft faszinierend und sorgt nicht selten für „AhaEffekte“. Ohne Frage, Kasper ist ein Intellektueller, ein hoch gebildeter Mann, der seinen Doktortitel nicht im Copyshop erworben hat. Er hat Germanistik, Philosophie und Niederlandistik studiert und auch die entsprechenden ordentlichen Abschlüsse gemacht. Zurzeit arbeitet er als Lehrer an einem Essener Gymnasium, wobei er zuvor anderweitige Berufserfahrungen gesammelt hatte. Dazu gehört z. B. seine mehrjährige Tätigkeit als erster Fachbereichsleiter Literatur an der Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfenbüttel. Kasper ist auch als kompetenter Literaturkritiker bekannt. Zahlreiche Beiträge im Rundfunk und in Literatur und Fachperiodika (z. B. dem jährlich erscheinenden Heyne Science Fiction Jahrbuch) haben seinen Ruf als Kenner der allgemeinen Literatur wie auch als Experten für Science Fiction untermauert. Damit nicht genug! Hartmut Kasper ist selbst belletristisch tätig. Besonders hervorzuheben ist hier sein Ruhrgebietsroman in drei Teilen (auch: Dreieckiger Roman des Ruhrgebiets) mit dem Titel DreiMännerEck (AssoVerlag, Oberhausen 2007). In dem Buch erzählt der Autor drei autobiografisch gefärbte Geschichten, die sich um WanneEickel und Gelsenkirchen ranken. Mit dem Text DreiMännerEck erreicht Kasper eine literarische Qualität, die weit über dem Standard liegt. Selten habe ich einen so exzellenten Ruhrgebietsroman gelesen wie dieses rein quantitativ recht schmale Bändchen (der Text umfasst lediglich 160 Seiten). Kaspers Liebe aber gehört der Science Fiction im Allgemeinen und Perry Rhodan im Besonderen. Kurzes Info für Unkundige: Perry Rhodan ist eine wöchentlich erscheinende deutsche SFHeftserie, die am 8.9.1961 startete und ununterbrochen bis heute existiert. In 2011, dem 50sten Jubiläumsjahr, wird man die Nummer 2600 überschreiten, und ein Ende ist nicht abzusehen. Diese für eine Heftserie absolut ungewöhnliche Erfolgsgeschichte hat PR weltweit zur größten SFSerie aller Zeiten mit hundertmillionenfacher Auflage werden lassen. Inhaltlich geht es um ein Epos, das die Ausbreitung der Menschheit im Universum beschreibt. Was mit dem ersten Mondflug begann (von den Gründungsautoren hellsichtig auf 1971 datiert real fand der erste Mondflug 1969 statt), hat sich zu einem Monumentalgebilde ausgeweitet, in dem die Reise zu fernsten Galaxien zum Romanalltag gehört. Es versteht sich von selbst, dass ein derartiges Werk nicht von einem Einzelnen geschaffen werden kann. Deshalb wird PR von einem Autorenteam geschrieben. Um die Schlüssigkeit des Geschehens zu garantieren, gibt es einen Chefautor, der Exposés schreibt, an denen sich die Autoren der Einzelromane orientieren. Hartmut Kasper, hier unter seinem Pseudonym Wim Vandemaan firmierend, gehört seit 2007 zur Stammmannschaft von PR. Seitdem hat er Romane zur Serie beigesteuert, die sich trotz des (notwendigen) vorgegebenen Handlungsrahmens durch Originalität und Esprit auszeichnen. Seine bisweilen skurrilen und doppelbödigen Ideen überraschen immer wieder und tragen nicht unwesentlich zur Farbigkeit und Exotik der Serie bei. Man darf gespannt sein, was Kaspers Kreativität in Zukunft noch so zu bieten haben wird.

Über Gelsenkirchen hinaus

Schauen wir jetzt über die Stadtgrenzen hinaus auf andere Teile des Reviers. Hier lassen sich (wen wundert’s?) ebenfalls Menschen finden, die sich vom Dilletantismus angefangen bis hin zu respektabler Professionalität in der populären Literatur tummelten bzw. tummeln. Vier Autoren, von denen nur noch einer unter den Lebenden weilt, sind es, die ich besprechen will. Axel Rudolph aus Bochum war Bergmann, avancierte im Deutschland der 30er Jahre zum Erfolgsautor und fiel dann den Nazis zum Opfer. Der dubiose Hans Henning Claer aus Bergkamen erlangte als „Lass juckenKumpel“ in den 70ern eine mehr traurige Berühmtheit. Clark Darlton (d. i. Walter Ernsting), Pionier und Mentor der deutschen NachkriegsScience Fiction und Mitbegründer von Perry Rhodan, verbrachte seine Kindheits und Jugendjahre in Essen. Jason Dark (d. i. Helmut Rellergerd) wuchs in Dortmund auf und gehört heute zur Spitze der deutschen Horrorautoren.

Traum und Tragik: Axel Rudolph

Oskar Karl Alexius Rudolph (geb. am 26.12.1893 in Köln-Nippes, hingerichtet am 30.10.1944 in Brandenburg), der sich selbst schlicht Axel Rudolph nannte, war ein ganz und gar vergessener Autor, bis ihn ca. 60 Jahre nach seinem Tod ein anderer Autor namens Martin Keune wiederentdeckte. Keune war von Rudolph derart angetan, ja fasziniert, dass er ihm eine romanhafte Biografie mit dem Titel Groschenroman widmete, die es prompt und berechtigterweise zum Bestseller brachte. (Keunes Buch ist mehr als zu empfehlen. Es liest sich wie ein fiktionaler Abenteuerbericht über einen unglaublichen Mann in einer durchgedrehten Zeit und beruht dennoch im Großen und Ganzen auf sorgfältig recherchierten Fakten, also auf Wirklichkeit.) Rudolphs Bezug zum Ruhrgebiet besteht darin, dass er als Junge mit seiner Familie ins Revier, und zwar nach Bochum zog. Sein Stiefvater, eigentlich ein Lehrer, musste sich aus der reinen Not heraus als Bergmann verdingen, und auch der Sohn hatte in dessen Fußstapfen zu treten. Die heute kaum mehr vorstellbare harte und (lebens)gefährliche Arbeit bot für den jungen Mann, der voller Ideen und Träume steckte, keine Perspektive. So mag es nicht verwundern, dass sich der 21jährige Axel Rudolph sofort bei Ausbruch des 1. Weltkriegs 1914 (nicht nur wegen der allgemeinen Kriegsbegeisterung) freiwillig zum Militärdienst meldete. Er wollte raus aus seiner Situation, und er hatte wie so viele seiner Altersgenossen dumme Flausen von Heldentum und schnellen Siegen im Kopf. Es dauerte nicht lange, bis ihn die Realität brutal einholte. Nach einer schrecklichen Odyssee, die ihn bis in die schlimmsten Gefangenenlager in Sibirien getrieben hatte, landete er wieder in Bochum. Er sackte immer weiter ab und zeitweise schien es so, dass er für den Rest seines Lebens als Handlanger in einem Bochumer Obdachlosenheim dahinvegetieren würde. Dann jedoch die märchenhafte Wende! Er, der schon immer ein begabter Geschichtenerzähler mit überbordender Fantasie gewesen war, hatte bereits über die Jahre hinweg mit wenig Erfolg versucht, kleine Artikel, Stories und Ähnliches bei Zeitungen etc. unterzubringen. Jetzt beteiligte er sich mehr nebenbei und ohne große Erwartungen an einem Wettbewerb, den die Ufa über die Zeitschrift „Die Woche“ ausgeschrieben hatte. Motto: „Haben Sie eine gute TonfilmIdee?“. Das war am 4.7.1931. Rudolph hatte eine Idee! Es war die autobiografisch gefärbte Geschichte eines Bergmanns, die 1935 als Roman Der Mann aus der Tiefe veröffentlicht wurde. Eine geraume Zeit später flatterte ein Brief ins Armenasyl. Absender: Die Ufa! Man teilte Rudolph mit, dass er bei 10 000 Bewerbern unter den ersten Plätzen gelandet sei. Er erhalte 500 Reichsmark, und er solle umgehend zwecks Vertragsverhandlungen nach Berlin kommen. Damit begann Rudolphs Aufstieg zum Drehbuchautor und v. a. zum Schriftsteller, dessen Werke (durchweg Abenteuerromane und Krimis) millionenfach verlegt und gelesen wurden. Nach mehreren Jahren in Berlin kaufte er ein Haus am See im havelländischen Dorf Semlin. Dort zog er sich mit seiner späteren dritten Frau Gertrud „Gerti“ Beier aufs Land zurück. Mit dem Ausschluss aus der sog. „Reichsschrifttumskammer“ 1939 ausgerechnet die Nazis fachten eine Kampagne gegen „Schund und Schmutz“ in der Literatur an begann sein Stern zu sinken. Zwar konnte er unter dem Namen seines Freundes Hermann Freyberg, einem Afrikareisenden und Abenteurer, weitere Bücher veröffentlichen, die ihm ein gewisses Einkommen sicherten, aber die Schatten des Unrechtsstaates wurden für ihn immer bedrohlicher. Rudolph, ein ausgewiesener Gegner der Nazis, war bereits ab 1931 des Öfteren mit Hitlers Schergen aneinandergeraten. So endete z. B. schon nach acht Monaten seine Karriere bei der Ufa aufgrund einer Denunziation. Seine wiederholten kritischen Äußerungen rückten ihn zunehmend in das Visier der Gestapo, die jahrelang heimlich gegen ihn ermittelte. Die endgültige Katastrophe aber leitete eine Affäre mit der (verheirateten) Tochter einer NaziGröße in Semlin ein. In einer Aktion, die an tödlichem Leichtsinn kaum mehr zu überbieten war, schickte er ihr (dafür war wohl auch sein reichhaltiger Alkoholkonsum verantwortlich) einen Brief, in dem er scharfsinnig und rückhaltlos offen mit dem Regime abrechnete. Natürlich bewirkte der Brief im Gegensatz zu Rudolphs naiver Absicht bei dem „NaziFlittchen“ (so Gerti Beier) keine innere Einkehr, sondern eine weitere Denunziation bei der Gestapo. Es kam, wie es kommen musste. Axel und Gerti Rudolph wurden verhaftet und vor Freislers „Volksgerichtshof“ angeklagt. Während man Gerti zu drei Jahren Zuchthaus verurteilte, wurde über Axel Rudolph das Todesurteil verhängt. Die faktische Ermordung Rudolphs fand am 30.10.1944 mittels einer Guillotine statt. Axel Rudolph ist sicher kein großer Literat, aber auch kein „Schundautor“. Seine Krimis und Abenteuergeschichten, die um die ganze Welt führen, zeichnen sich durch Ideenreichtum, spannende Handlungen und einen flotten Schreibstil aus. Trotzdem: Deutlich faszinierender sind sein reales Leben und seine Persönlichkeit. Er selbst scheint wie eine Romanfigur zu sein. Denn die Höhen und Tiefen, die er durchmacht, gleichen einer Achterbahnfahrt. Mit dem Ideenwettbewerb in der „Woche“ vom 4.6.1931 begann Rudolphs Aufstieg zum Erfolgsschriftsteller. Die z. T. unglaublich wirkenden Zufälle, die seinem Leben jeweils eine völlige Kehrtwendung geben, könnten einem Film entsprungen sein, und seine Lebensabschnitte könnten gegensätzlicher nicht sein. So schlägt er sich, wenn es ihm ganz dreckig geht, mit zähestem Überlebenswillen durch. Dann wieder ist er, wenn es ihm gut geht, der großspurige Lebemann, der Trinker und Weiberheld. Letztendlich aber überzeugt seine innere Redlichkeit, die er sich bei all seinen durchaus nicht seltenen Finten, kleinen Betrügereien und Lügen dennoch immer bewahrt hat. Diese Integrität erlaubt es ihm auch, in finstersten Zeiten den aufrechten Gang zu praktizieren. Der Preis, den er dafür zu zahlen hat, ist bitter und tragisch. Aber in der Erinnerung bleibt er ein Mensch, dem höchster Respekt gebührt. Wie wir bereits gehört haben, hat Rudolph bis zum Beginn der 30er Jahre (mit der Unterbrechung durch den 1. Weltkrieg) in Bochum verbracht erst als Bergmann, dann als sozial Gestrauchelter in einem Obdachlosenasyl. Das Revier hat er also sozusagen nur „von unten“ gekannt. Erst in Berlin erlebt „Der Mann aus der Tiefe“ eine ganz andere Welt. Merkwürdigerweise gibt es indirekt einen weiteren Revierbezug von Axel Rudolph, nämlich über seine Frau Gertrud (geb. am 18.12.1907 in Berlin). Das liest sich so: Ohne jeden Zweifel hatte es Gertrud Rudolph nach dem 2. Weltkrieg irgendwann von Semlin nach Gelsenkirchen verschlagen! Tatsache ist jedenfalls, dass sie am 4.8.1995 im AWOSeniorenheim „Haus Darl“ in GelsenkirchenErle verstarb. Tatsache ist auch, dass sie man höre und staune am 24.7.1984 der Buerschen Zeitung ein Interview gab, in dem sie von ihrem schweren Leben berichtete. Das heißt auch: Gerti Rudolph muss mindestens während der letzten 12 Jahre ihres Lebens in Gelsenkirchen gewohnt haben. Man kann also nicht ganz unberechtigt sagen, dass Axel Rudolph wiederum in einer seltsamen und erstaunlichen Wendung nach seinem Tod ins Ruhrgebiet zurückgekehrt ist, wenn auch nur mittelbar und symbolisch durch seine Frau.

Suff und Sex: Hans Henning Claer

Hans Henning Claer (geb. 30.12.1931 in Berlin; gest. im Dezember 2002 in Bergkamen) war in Berlin Polizist und Boxer gewesen, kam dann nach Bergkamen und arbeitete dort als Bergmann. Nach einem Schlaganfall in den 90ern und einem langen, schweren Siechtum verstarb er 2002 in der Bergarbeiterstadt. Die eigentliche Geschichte des Hans Henning Claer fängt jedoch irgendwann in den 60er Jahren an. Aus welchen Gründen auch immer fühlte Claer sich bemüßigt, einen Roman über das Kumpelleben zu schreiben. Er schickte das fertige Manuskript an den MelzerVerlag, wo es dem damaligen Geschäftsführer und Lektor Jörg Schröder in die Hände fiel. Schröder, eine äußerst schillernde Figur des deutschen Verlagsgeschäfts, erkannte sofort das kommerzielle Potenzial des Romans, war mit dem Text aber nicht zufrieden. Er brachte Claer dazu, den Text „noch kumpeliger“ (d. h. in seinem Sinne noch primitiver) umzuschreiben, was H. H. Claer willig tat. Dem neuen Manuskript verpasste Schröder dann auch den treffenden Titel, unter dem es Furore machte: Lass jucken, Kumpel (Claer wollte sein Buch ursprünglich Glück auf, Kumpel nennen). Inzwischen hatte der Medienfilou Schröder, der bei Melzer gefeuert worden war, einen eigenen Verlag namens März gegründet und „seine“ Autoren mitgenommen. Dazu gehörte auch Claer. So erschien der Roman 1971 bei „März“, und Schröders Rechnung ging glänzend auf. Das Elaborat wurde ein klingender Verkaufserfolg, und das hatte seine Gründe. Diese lagen sowohl im Text selbst als auch in der Inszenierung, die Schröder um Claer herum veranstaltete. Inhaltlich ist Lass jucken, Kumpel eine dünne und dümmliche Geschichte, die das Leben der Bergleute auf Sauforgien, Schlägereien und derben Sex reduziert. Trotzdem traf sie den Nerv eines bestimmten Publikums. Selbiges konnte sich entweder an einer vermeintlichen „Sozialreportage“ abarbeiten und/oder sich köstlich über die halbwilden und geilen Trampeltiere aus dem Revier amüsieren. Wohlwollend möchte ich unterstellen (ohne es belegen zu können), dass der Begriff „Sozialreportage“ bei Claer von seinen ursprünglichen Intentionen her möglicherweise sogar eine gewisse Rolle gespielt haben mag. Tatsächlich ist es so, dass die alltägliche Arbeiterkultur stark von geistiger Enge, Alkohol, Gewalt und wenig erotischem Sex geprägt war. Ich als Kind des Reviers bin der Letzte, der das abstreiten würde. (Wer erinnert sich nicht an den Spruch „Vögeln und besoffen sein, des kleinen Mannes Sonnenschein“?) Genau in diesem Wissen wurzelt ja auch meine Kritik an einer sozialromantischen Verklärung des Arbeiters, der so viele 68er erlagen. Trotzdem die (Berg)Arbeiter waren auch zur Zeit Claers alles andere als eine sozial entwurzelte Klasse, die sich benahm wie eine Obdachlosensiedlung. Sie hatten sehr wohl klare soziale Regeln und Orientierungen und waren z. T. zu kulturellen Leistungen fähig, die noch heute Respekt abverlangen. Wie gesagt, es kann also sogar sein, dass Claer vorhatte, diese Ambivalenz darzustellen. Er blieb aber in einer seichten und anrüchigen Story stecken, zu der seine eigene problematische Halbweltperson und die Manipulationen eines Jörg Schröders erheblich beitrugen. Dem abgezockten Schröder ging es nämlich um eine groß angelegte Provokation des deutschen Kulturbetriebs und natürlich um schnelles Geld. (Auch später hielt sich Schröder u. a. mit Pornoromanen über Wasser.) Das durchgehend pornografische Element des Romans, das zum wichtigste Erfolgsmoment des Buches gehörte, veranlasste wiederum die Filmindustrie um den Produzenten Franz Marischka, den Stoff zu adaptieren und daraus in den 70er Jahren eine Serie von SoftpornoFilmen zu machen, in denen Claer, mittlerweile wohl endgültig schmerzfrei geworden, z. T. selbst mitspielte. Fazit: Während alle direkt Beteiligten nicht zu knapp profitierten, kann man das vom Image des Reviers und dem der Knappen (und ihrer Frauen) beim besten Willen nicht behaupten. Zu Hans Henning Claer bleibt lediglich noch zu sagen, dass bei ihm von einer eigenständigen Schriftstellerpersönlichkeit nicht die Rede sein kann. Obwohl es außer Frage steht, dass alle Autoren der populären Belletristik einem bestimmten Regelwerk unterworfen sind, so zeichnen sich die guten bis hervorragenden „PopLiteraten“ gerade dadurch aus, dass sie den Genres immer wieder neue, individuelle Töne abgewinnen bzw. Akzente setzen, die das Genremuster tendenziell „transzendieren“. Claer dagegen war letztlich nichts anderes als das freiwillige Opfer, das es gut fand, sich vorführen zu lassen. Er war das Produkt der Vermarktungsstrategie von Jörg Schröder und eines der ersten Exempel für die DSDSKandidaten von RTL, bei denen wie bei Claer aus dem Nichts ein Medienereignis gemacht wird. So blieb Claer auch in der Folgezeit auf Linie, indem er noch einiges an Geschreibsel mit solch bezeichnenden Titeln wie Das Bullenkloster und Bulle, Schläger, Nuttenjäger nachschob, an den Erstlingserfolg aber nur noch als Abklatsch anknüpfen konnte. Mithin gehört auch Claer wie Bröll zur unteren Schublade der hier behandelten Autoren Bröll, weil er simpel gestrickte PseudoScience Fiction mit erzreaktionären Inhalten verband; Claer, weil er Arbeiterkultur zu einem schmuddeligen, asozialen SanktPauliMilieu verkommen ließ.

Sense of Wonder: Clark Darlton (d. i. Walter Ernsting)

Walter Ernsting (geb. 13.6.1920 in Koblenz, gest. 15.1.2005 in Salzburg) gelangte auf ungewöhnliche Weise zu seinem Pseudonym Clark Darlton. Als er nach dem Krieg in die Heftverlagsszene einstieg und dort unter anderem eine erste Science FictionReihe betreute (für die er, der Englischkundige, auch Übersetzungen anfertigte), kam er selbst auf den Geschmack. Er schrieb Science-Fiction Romane, die aber abgelehnt wurden. So verfiel er auf die pfiffige Idee, sie unter dem Pseudonym Clark Darlton anzubieten und zu behaupten, es handele sich um Übersetzungen des wichtigen englischsprachigen SFSchriftstellers Clark Darlton. Und, oh Wunder, diesmal wurden sie angenommen. So blieb er bei dem Namen. Obwohl Ernstings literarischen Fähigkeiten eher bescheiden sind (dennoch kann er streckenweise einen anrührenden „sense of wonder“ verbreiten) und seine Romane fast durchweg durchschnittliche Unterhaltungskost bleiben, hat er sich große Verdienste um die deutsche NachkriegsSF erworben. Einmal war es ihm mitzuverdanken, dass über die vielgeschmähten Hefte gute bis hervorragende angloamerikanische SFAutoren erfolgreich in den deutschen Markt eingeführt wurden (z. B. Isaac Asimov, Philip K. Dick, J. G. Ballard u. v. m.). Damit unterstützte er eine Entwicklung, die den traditionellen deutschen „utopischtechnischen Zukunftsroman“ aus seiner thematischen und oft rechtslastigen Enge herausführte und den Blick der deutschen Leser für den ungeheuer vielfältigen Gesamtkosmos der QualitätsScience Fiction öffnete. Es kommt nicht von ungefähr, dass sich ab den 1960er Jahren die GenreBezeichnung „Science Fiction“ auch in Deutschland durchsetzte. Zum anderen war er neben K. H. Scheer der geistige Vater der Perry RhodanSerie, wodurch er eine Erfolgsgeschichte mitbegründete, die in der gesamten Historie der SFLiteratur einmalig ist. Insgesamt hat er in einer Art Schlüsselfunktion im deutschsprachigen Raum mitgeholfen, aus einer verfemten Nischenliteratur ein anerkanntes Genre zu machen. Was nun hat Ernsting mit dem Revier zu tun? Nicht wirklich viel, muss ich zugeben. Aber immerhin hat er von 1929 bis 1938 in Essen gewohnt, weil der zweite Mann seiner Mutter bei einem Essener Bergbauzulieferer arbeitete. So erfolgte also ein Umzug von Koblenz nach Essen mit der Konsequenz, dass Walter Ernsting seine gesamte Zeit des Heranwachsens in einer Revierstadt verbrachte. Übrigens: Über ihn wird für einen Jugendlichen seiner Zeit höchst Ungewöhnliches berichtet. So zeigte er sich wiederholt „bockig“ gegenüber den Nazis, flog deshalb aus der HitlerJugend raus und wurde sogar als blutjunger Erwachsener verhaftet und zeitweise festgesetzt nachzulesen in der Biografie Clark Darlton von Heiko Langhans, Rastatt 2000. War also Ernstings Kontakt mit dem Ruhrgebiet für ihn nur eine, wenn auch nicht unwichtige Lebensepisode unter vielen, so hat er ihr doch ein interessantes Denkmal in Form eines SFRomans gesetzt. Ich spreche von dem Taschenbuch Der Flug der Millionäre (PRPlanetenroman Nr. 17, 3. Auflage, München 1980). Angesiedelt im Perry Rhodan-Universum erzählt Darlton u. a. von dem in Essen (!) residierenden Industriemagnaten Ronald Börsinger, dem „ungekrönten König der Ruhr“, der alles an irdischen Reichtümern besitzt. Doch das reicht ihm nicht. Er will die Unsterblichkeit, denn sein Leben neigt sich dem Ende zu. Wie die Geschichte weitergeht und welche Rolle Perry Rhodan spielt, soll nicht verraten werden. Hingewiesen werden aber soll noch auf ein beachtenswertes Detail des Romans. Börsingers Essen ist nämlich nur eine Art Stadtteil von Ruhrstadt. Selbst wenn Darlton nicht der Erfinder des Wortes „Ruhrstadt“ ist (das wird meines Wissens Lion Feuchtwanger zugeschrieben), so hat er „die Ruhrstadt“ doch als Erster popularisiert und damit die Vision eines einheitlichen politischen Gebildes, das seiner Metropolfunktion weit gerechter werden würde als die jetzige Kleinstaaterei und die übliche Kirchturmspolitik im Revier.

Gänsehaut: Jason Dark (d. i. Helmut Rellergerd)

Helmut Rellergerd (geboren 25.1.1945 in Altena im Sauerland) lebt heute in Bergisch Gladbach, wahrscheinlich auch deshalb, weil sein Stammverlag BasteiLübbe dort seinen Sitz hat. Aufgewachsen ist er aber in Dortmund, sodass er fraglos zum Kreis der Revierautoren gehört, der hier in Rede steht. Nach einigen schriftstellerischen Fingerübungen (z. B. Krimis), denen allerdings kein Erfolg beschieden war, schrieb er den Roman Im Kreuzfeuer des Todesdrachen. Damit konnte er nicht nur seine erste Veröffentlichung bei Bastei vorweisen, sondern er hatte auch das Genre gefunden, das ihm zum Durchbruch verhelfen sollte. In der Folgezeit entwickelte er unter seinem Pseudonym Jason Dark die Figur des Geisterjägers John Sinclair, eines Engländers, der in haarsträubenden Abenteuern die abstrusesten Dämonen und Monster bekämpft. Mit John Sinclair stieg er ab den 70ern zum meistgelesen deutschen Horrorautor auf, und seine Arbeiten finden in Heften und Taschenbüchern weiteste Verbreitung. Daneben kreierte er noch andere, ebenfalls sehr erfolgreiche Gruselserien, z. B. Professor Zamorra. Was immer man von einem John Sinclair oder einem Professors Zamorra halten mag, Fakt ist, dass sich Rellergerd als Vertreter des Horrorgenres einen berechtigten Platz im Reigen derjenigen erworben hat, die aus dem Revier heraus die populäre Literatur befruchtet haben.

Schlussbetrachtungen

Erstes Ergebnis: Zum Verhältnis von Form und Inhalt

Immer wieder wird als „Beweis“ oder zumindest als Indiz für die „Minderwertigkeit“ der populären Literatur auf ihre Form hingewiesen. Gedruckt z. B. als Heft auf billigem Zeitungspapier und versehen mit bunten, eventuell sogar reißerischen Titelbildern wird, so meint man, allein schon dadurch die Minderwertigkeit des Inhalts belegt. Hinzu kommt, dass das Heft im Gegensatz zum Taschenbuch oder gar zum HardcoverBand preiswert ist. Auch dieses Merkmal wird als negativ empfunden, was sich dann in dem verächtlichen Wort „Groschenheft“ ausdrückt. Anders formuliert: Es sind zuerst einmal formale Äußerlichkeiten, die nicht unwesentlich zu einer naserümpfenden Haltung gegenüber den Produkten der populären Literatur beitragen und Bewertungen suggerieren, die scheinbar eingängig und „offensichtlich“ sind. In Wirklichkeit handelt es sich bei derartigen Manövern um ganz ordinäre Vorurteile, die tief verwurzelt sind in den alten „Schund und Schmutzkampagnen“ selbsternannter Sittenwächter, zu denen sich, wie wir gesehen haben, auch die Nazis zählten (siehe den Beitrag über Axel Rudolph). Tatsächlich ist es völlig unzulässig, von der Form auf den Inhalt zu schließen. Auch eine schlechte Verpackung kann ein wertvolles Geschenk enthalten. Ebenso wenig wird ein dürftiger Inhalt durch eine noch so aufwändige Verpackung besser. Selbstverständlich gibt es (unabhängig vom Erscheinungsbild) auf dem Genremarkt viel Schrott, genauso wie es eben auch viele Perlen in diesem Bereich gibt. Aber: Unabhängig davon gilt auch, dass sich die Erscheinungsformen der populären Literatur (meist Hefte oder Taschenbücher) einer ganz eigenen Ästhetik erfreuen, die ausgesprochen reizvoll ist bzw. sein kann. Und es gibt Coverzeichner, die für die visuelle Umsetzung der GenreLiteratur Bemerkenswertes geleistet haben. Besonders in der Science Fiction hat sich eine Richtung herausgebildet, die man als „SFArt“ bezeichnet. Die SFArt hat Werke hervorgebracht, die deutlich über den grafischen Gebrauchswert hinausgehen und zweifellos künstlerischen Ansprüchen genügen.

Zweites Ergebnis: Vielfalt statt Einfalt

Hier endet unser Ausflug in die teils schillernden, teils wunderbaren Gefilde desjenigen Teils der populären Literatur, der aus dem Ruhrgebiet heraus geboren wurde und bundesweite, z. T. sogar weltweite Beachtung gefunden hat. Natürlich konnte ich im Rahmen dieses Artikels nur kursorisch vorgehen, denn es gäbe noch viel mehr zu sagen. Trotzdem hoffe ich, dass er einen ersten Eindruck vermittelt hat von der changierenden Vielfalt einer Literatursparte, die das Ruhrgebiet zwar nur partiell oder gar nicht zum Thema hat (abgesehen von einigen wichtigen Ausnahmen), aber aus dem Ruhrgebiet kommt bzw. mit dem Ruhrgebiet durch ihre Macher verbunden ist. Damit scheint mir auch meine These bestätigt, dass sich die Revierliteratur nicht in der Arbeiter und Industrieliteratur erschöpft, sei sie nun romantisierend oder kritisch gemeint. Der typische Autor des Potts kann, muss aber nicht der sog. „Arbeiterdichter“ sein.

3.3. Drittes Ergebnis: Der Paradigmenwechsel

Über das Thema des Aufsatzes hinausgehend muss man ein weiteres Ergebnis festhalten. Es lautet: Schon die aufgelisteten Autoren/innen zeigen, dass es gewaltige Qualitätsunterschiede auch innerhalb der sogenannten „Unterhaltungsliteratur“ gibt, wobei es jetzt an der Zeit ist, etwas mehr zu diesem Begriff zu sagen. Wie sie sicher bemerkt habe, habe ich in meinem Aufsatz das Wort „Unterhaltungsliteratur“ stets in Anführungsstriche gesetzt. Meine Begründung: Kennen Sie irgendeine Form der Belletristik oder auch irgendeine Form von Sachbüchern (wenn es sich nicht gerade um reine Lehrbücher zum Pauken handelt), die nicht auch unterhalten sollen, wollen, ja müssen? Ich nicht. Um ganz auf den Olymp zu steigen: Homer wollte natürlich unterhalten, sonst hätten ihm die grobschlächtigen Krieger und die ausgemergelten Bauern seiner Epoche mit Sicherheit nicht zugehört. Shakespeare wollte ohne jede Frage unterhalten; davon lebte sein Theater. Und: Goethe, Schiller, Kleist, Brecht, Thomas und Heinrich Mann, Dürrenmatt, Grass, Lenz usw. wollten, ja mussten es selbstverständlich auch. Also: Die Frage, ob unterhalten wird oder nicht, hat mit Qualität nichts zu tun. Peter Schmidt wie auch Hartmut Kasper stehen turmhoch über einem W. W. Bröll oder einem Hans Henning Claer, und eine Josianne Maas ist kein Dummchen, weil sie sich u. a. dem „Frauenroman“ gewidmet hat. Auch ein G. F. Unger hat seine Vorzüge für den, der das Genre liebt, und ein KlausPeter Wolf ist in seiner gesellschaftskritischen Haltung glaubwürdig und seriös, obwohl er es nicht selten „krachen“ lässt und keineswegs auf Sensationselemente verzichtet. Alle im Aufsatz Genannten, die z. T. Schlechtes, z. T. Außerordentliches geleistet haben, sind der populären Literatur zuzuordnen, einer Literatur, der noch immer in Deutschland völlig unberechtigt etwas Anrüchiges, ja Schmuddeliges anhaftet. Meine Meinung: Ein Paradigmenwechsel in der Literaturbewertung ist dringend geboten und überfällig. Er lautet: Es gibt keine hohe und niedere Literatur. Es gibt nur gute und schlechte Literatur.

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Von Hans Frey

Hans Frey (geb. 24.12.1949 in Gelsenkirchen, verw., drei Kinder) studierte Germanistik und Sozialwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum und arbeitete dann als Studienrat an einem Gelsenkirchener Gymnasium. 1980 wurde er in den Landtag von Nordrhein-Westfalen gewählt, dem er bis 2005 angehörte. Seit dieser Zeit lebt er (formal) im Ruhestand. Neben der Politik war und ist Hans Frey publizistisch und künstlerisch engagiert. U. a. kreierte er 1996 als Drehbuchautor und Regisseur die Stadtrevue „Ja, das alles und mehr…“, gab sieben Jahre lang das Stadtmagazin DIE NEUE heraus und gehörte 2004 zu den Mitinitiatoren der Kunstausstellung RUHRTOPIA in Oberhausen. Im September 2007 war er Mitbegründer von gelsenART e. V., Verein zur Förderung von Kunst und Kultur im Ruhrgebiet. Unter seinen Buchveröffentlichungen finden sich u. a. - der fantastische Roman „Die Straße der Orakel“, der in einer Antike spielt, die man so aus den Geschichtsbüchern nicht kennt (2000), - das Sachbuch „Welten voller Wunder und Schrecken – Vom Werden, Wesen und Wirken der Science Fiction“ (2003), ein umfangreiches Werk, das alle Facetten der Science Fiction beleuchtet, - und sein aktuell letztes Buch (September 2009), der erste Band seiner politischen Autobiografie „Ja, das alles und mehr! – Geschichte und Geschichten aus 35 Jahren Politik“ mit dem Titel: „Wilder Honig“.

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