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Auf die rasch wachsende Zahl der Bueraner Einwohner ist schon hingewiesen worden. 1911, im Jahr der Verleihung der Stadtrechte, hatte Buer etwa 67.000 Einwohner, darunter befanden sich über 15.000 Bergarbeiter. Und das waren überwiegend junge Zuwanderer im Alter von 18 bis 35 Jahren, wobei es in Buer einen erheblichen Männerüberschuss gab. Angesichts dieser jungen männlichen Bevölkerung ist vielleicht zu verstehen, warum die Zeitungen in Buer immer wieder über wilde Feste und manche Rauferei berichteten. Diese Bergarbeiter zogen meist Frauen aus ihrer Heimat ins Ruhrgebiet und widmeten sich in den folgenden Jahren – die Gewohnheiten ihrer ländlichen Herkunftsregionen fortsetzend – der Kinderzeugung, so dass die Geburtenrate im ganzen nördlichen Ruhrgebiet knapp dreimal so hoch wie im Reichsdurchschnitt lag. Angesichts der Dominanz der Schwerindustrie und fehlender Mittelschichten fanden sich kaum außerhäusliche Beschäftigungsmöglichkeiten für die Frauen, so dass noch weit bis in die Zeit nach der Befreiung vom Nationalsozialismus ein konservatives Familienmuster prägend blieben: Die Frau am heimischer Herd, Jahr für Jahr schwanger, die zahlreichen Kinder mehr schlecht als recht aufziehend in der Nachbarschaft ähnlicher kinderreicher Familien.

Solche schwerindustriellen Familien waren jahrzehntelang die Regel, vielleicht überlegen Sie mal, wie viele Geschwister Sie haben, wie viele Onkeln und Tanten und wie es dann in Ihrer Großelterngeneration aussah. Vor allem die jungen ungebundenen Bergarbeiter lebten dabei aber recht unstetig. So war die Fluktuation der Bergarbeiter auf den Zechen enorm, da angesichts der Arbeitskraftnachfrage der Wechsel zwischen den Zechen immer möglich war. So betrug 1911 der Belegschaftswechsel je 100 Mann bei Zeche Westerholt 187 und selbst noch bei der älteren Schachtanlage Hugo 1/4 112. Das heißt, dass sich rechnerisch pro Jahr die Belegschaft mehr als einmal vollständig auswechselte. Da es aber z.B. bei der Übertagebelegschaft recht stetige Beschäftigung gab, ist grob vorstellbar, was da für Verhältnisse herrschten. Diese Entwicklung schlug sich auch in den Bevölkerungsbewegungen in Buer nieder – einheimisch oder zugewandert war eine schwer zu beantwortende Frage: 1910, im Jahr vor der Erlangung der Stadtrechte, zählte man in Buer 21.000 Zuzüge, 15.000 Wegzüge und 22.000 Umzüge im Gemeindegebiet. Rechnerisch bewegte sich etwa jeder Einwohner von Buer einmal im Jahr. Entsprechend sah es in den Siedlungen aus. Auch hier herrschte Fluktuation, mit den großen Familien waren auch die heute beliebtesten Wohnungen überbelegt, zumal, wenn die Familien Schlaf- und Kostgänger aufnehmen mussten, was aus Sicht bürgerlicher Beobachter zu Abgründen von Unmoral und Sittenverfall führte.

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Von Stefan Goch

Stefan Goch ist Jg. 1958, Sozialwissenschaftler, Dr. soc., Leiter des Instituts für Stadtgeschichte in Gelsenkirchen, apl. Prof. an der Fakultät für Sozialwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum

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