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Mit der Zuwanderung aus Ostpreußen, Westpreußen, Polen und Schlesien entstanden erhebliche soziale Spannungen zwischen Einheimischen und Zugewanderten, den so genannten Ruhrpolen sowie den vielfach übersehenen Masuren. Die Spaltung der Bevölkerung wurde dabei durch die Diskriminierung und die brutale Germanisierungspolitik der preußischdeutschen Obrigkeit verschärft.

Bis zum Ersten Weltkrieg dürften über 300.000 Polen und etwa 180.000 Masuren ins Ruhrgebiet gekommen sein, die zentrale Verteilerstelle war der Gelsenkirchener Bahnhof, wo jahrzehntelang die Verbindung Warschau-Paris bestand. Um 1900 existierten im Ruhrgebiet 19 sogenannte Polenzechen mit einem Anteil von über 50% fremd- oder gemischtsprachiger Bergleuten, darunter Graf Bismarck mit 71% auf den drei Schachtanlagen, davon zwei auf Bueraner Gebiet. Nach der Zählung der Obrigkeit waren 1910 etwa 12% der Bueraner Ruhrpolen und etwa 18% Masuren. Fremdsein war also das Schicksal der meisten Bewohner bis zum Ersten Weltkrieg. Die heute verbreitete Vorstellung vom Schmelztiegel war dabei wohl nicht ganz zutreffend – es gab erhebliche Trennungslinien nach Herkunft, nationalem Selbstbewusstsein, Sprache, sozialer Stellung und lange noch nach Konfessionen.

Der Industrialisierungsprozess veränderte Buer brutal. Nicht umsonst sprach man auch von Preußens „Wildem Westen“, wenn man vor dem Ersten Weltkrieg die „boomtowns“ in Rheinland-Westfalen meinte. Die wuchernde Industrie stellte die unselbstständigen kommunalen Gebilde vor große Herausforderungen. Der durch das preußische Dreiklassenwahlrecht nach Steuerkraft abgesicherte Vorrang überkommener landwirtschaftlicher oder schwerindustrieller Interessen verhinderten vorausschauende Stadtplanung.

In Buer wurden in der ersten Klasse bis 1918 ausschließlich Gemeindevertreter der Zechen gewählt, in der zweiten Klasse fanden sich neben anderen Vertretern der bürgerlichen Parteien weitere Interessenvertreter der Zechen, erst in der dritten Kasse schafften einige, meist sozialkatholisch orientierte Bergleute den Einzug in die Gemeindevertretung. Entsprechend war auch die Finanzwirtschaft des Amtes Buer bis zur Stadtwerdung von einer Steuerschonung für Industrie,Landwirtschaft und Mittelstand geprägt, zu deren Gunsten die öffentlichen Haushalte beschnitten und die Leistungen des Amtes und der Gemeinden auf ein Minimum reduziert wurden. So hieß die Parole nach der Überlieferung (durch Theodor Feldhege): „Größte Zurückhaltung in freiwilligen Leistungen; nur das Allernotwendigste anlegen; es darf nichts kosten!“ Angesichts der verzögerten Stadtentwicklung, geringer Handlungsspielräume und schlechter Finanzsituation überrascht es nicht, dass auch elementare Infrastrukturen verspätet und zuerst unvollständig geschaffen wurden.

Aus Eigeninteresse übernahmen auch Akteure der Wirtschaft den Ausbau der Infrastruktur, so etwa den Aufbau der Wasserversorgung. Aus dem auf Initiative Friedrich Grillos gegründeten „Wasserwerk für das nördliche westfälische Kohlenrevier“ ging „Gelsenwasser“ hervor. Auch die Abwasserbeseitigung wurde erst, als sie buchstäblich zum Himmel stank und gravierende Probleme verursachte, in Angriff genommen und die Emscher zum offenen Abwasserkanal umgestaltet, begradigt und eingedeicht, wozu die Emschergenossenschaft auf staatlichen Druck hin geschaffen wurde. Bei der Schaffung öffentlicher Einrichtungen blieb die Urbanisierung bis 1914 aber defizitär.

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Von Stefan Goch

Stefan Goch ist Jg. 1958, Sozialwissenschaftler, Dr. soc., Leiter des Instituts für Stadtgeschichte in Gelsenkirchen, apl. Prof. an der Fakultät für Sozialwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum

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